Sonntag, 26. Februar 2017

Refugees Welcome @ Sherwood Forrest

Warum nehme ich eine Flüchtlingsfamilie auf?
Sommer 2015 – gerade wurde ich zum zweiten Mal Vater. Ein Ereignis, das für mich persönlich zwar überaus wichtig war und ist, von dem die Welt aber dennoch nur sehr bedingt Notiz genommen hat. Viel weltbewegender war in diesem Sommer die Völkerwanderung aka „Flüchtlingswelle“ die mehr als halb Europa beschäftigt hat. Hunderttausende Menschen strömten über verschiedene Routen vorwiegend aus Afrika bzw. dem arabischen Raum richtung Europa. Richtung Sicherheit, Frieden aber auch Wohlstand.
Die enorme Zahl sich bewegender Menschen stellte die dazumal vorherrschenden Gewohnheiten und Systeme bzw. Länder vor eine enorme Herausforderung oder überforderten diese schlichtweg. Die österreichische Zivilbevölkerung konnte (oder wollte) weit flexibler agieren als das offizielle (bestens verwaltete) Österreich. Es zeigte sich in wenigen Wochen eine riesige Welle der Hilfsbereitschaft und Solidarität. Unser Lieblingsnachbar wanderte mit der „Wir schaffen das Parole“ voran und viele wanderten mit bzw. hin. Zwischendurch stockte es oder spießte sich, was zu Problemen unterschiedlicher Größenordnung führte. Andere Länder (beispielsweise aus der ehemaligen Monarchie) zeigten sich weniger euphorisch und in all dem Durcheinander versuchten Einzelpersonen bzw. Netzwerke ihren eigenen Profit mit der Not und dem Elend anderer zu machen. Bilder oder Nachrichten wie jene über den Kastenwagen mit über 70 Toten erschütterten nicht nur unser eigenes Land.
All den Trubel habe ich bedingt durch mein Jungvaterdasein und die damit verbundenen Arbeiten, Pflichten und Sorgen teilweise nur bedingt wahrgenommen. Eine politische Meinung mir zu bilden – die dann über Monate bestand haben könnte – dafür hatte ich keinen Kopf. Lösungen im großen Rahmen zu finden (abseits der populistischen), die für alle Beteiligten das Beste (was auch immer das heißt) wären, war nicht meine Aufgabe. Nichts zu tun/denken, war nicht mein Stil.
Als Jungvater konnte und wollte ich nur eines nicht verstehen/akzeptieren: dass in unserem Wohlstandsland und Sozialstaat Neugeborene, Babys und Kinder in einem Flüchtlingslager im Freien bei Wind und Wetter Nächte am Boden verbringen müssen. Gutmensch, Volksverräter, Links, Rechts, Realitätsverweigerer,… – alles Begriffe die mich weder grundsätzlich noch für mich und mein Engagement interessierten. Die politischen Probleme soll(t)en die Politiker lösen, die menschlichen Probleme müssen mitunter die Menschen lösen. Und nachdem ich kein Politiker bin, beschloss ich gemeinsam mit meiner Frau, dass wir eine Flüchtlingsfamilie bei uns aufnehmen wollen.

Wo finde ich eine Flüchtlingsfamilie?
Was zunächst leichter klingt als man denkt, stellte eine überraschend große Hürde dar.
Zunächst zu meine Wohnsituation. Ich besitze eine schöne Höhle im Sherwood Forest mit einer Art Ausgedinge Höhle nebenan. In dieser Nebenhöhle befinden sich Räumlichkeiten, die Hausbesitzer normalerweise in ihren Keller verlagern (Technikraum, Waschraum, Fitnessraum, Werkstatt,…). Beide Gebäude sind getrennt begehbar, teilen sich aber das gemeinsame Haustor. Ich hatte also vor einen Teil meines Reiches auch baulich und räumlich abzutrennen und als eigene Wohneinheit mit Küche/Badezimmer und Wohn/Schlafzimmer zu adaptieren. Geplant und noch nicht getan bot ich dieses Objekt der örtlichen Caritas an, die das Angebot nach einem Lokalaugenschein höflich aber doch mangels Nachfrage! ablehnte. Ok. Stop. Nein. Jetzt verstand ich die Welt nicht mehr. Das ganze Land sucht Wohnungen für die Flüchtlinge, in Traiskirchen schlafen Menschen im Freien bei Regen am Boden, der Winter kommt und meine „Zwei-Zimmer-Wohnung“ soll nicht gut genug sein?
Also bot ich das Objekt übers Internet der Diakonie Wohnberatung an, die sich nach 2 Monaten! meldete. In letzter Konsequenz bewarb ich meine Herberge selbst über das Internet, bzw. informierte Freunde und Kollegen die sich bei Train of Hope und anderen Aktionen engagierten. Binnen 2 Tagen hatte ich so etwa ein halbes Dutzend loser Interessenten, von denen ich der ersten Familie – ohne sie gesehen bzw. kennengelernt zu haben – zusagte. Es war für uns absolut ein Sprung ins kalte Wasser. Ich ging das Projekt weder blauäugig, naiv oder hoffnungsvoll bzw. pessimistisch an. Aus sozialer bzw. christlicher Überzeugung war es mir wichtig, anderen Menschen zu helfen – wenn die dazu berufenen Organisationen/Institutionen schlichtweg versagten bzw. überfordert waren. Ich fuhr also nach Traiskirchen (besorgte unterwegs noch ein halbe Küche) und lernte „meine Familie“ kennen. Ein Mann aus Syrien, der in der Ukraine geheiratet hatte und mit seiner Frau auf der Flucht in der Türkei ein Kind bekommen hatte. Sie sprach hervorragend ukrainisch und russisch, wenig arabisch, de facto kein Englisch und konnte auf deutsch bis 10 zählen. Er sprach hervorragend arabisch, sehr wenig russisch, in Fragmenten englisch und kein Wort deutsch. Ich habe als Muttersprache deutsch, kann passabel englisch und habe von den anderen Sprachen keine Ahnung wie man sie spricht, liest geschweige denn schreibt (malt) – und wir haben uns einen Abend lang hervorragend unterhalten (ok – es war ein arabisch/deutsch Dolmetscher dabei).
Es begann ein bürokratischer Spießrutenlauf, der sich über die Bankenwelt, caritative Hilfseinrichtungen, das örtliche Meldeamt bis nach Traiskirchen zog. (Kurz zusammengefasst: Aus Traiskirchen darf man nur mit Bankverbindung raus, für eine Bankverbindung braucht man eine Meldebestätigung, für die Meldebestätigung muss man persönlich aus Traiskirchen raus. Wer war in diesem Dreieck am flexibelsten? Falsch: Traiskirchen!) Dann folgte ein beiderseitiger Nervenzusammenbruch, weil meine Familie – trotz unterschriebener Meldebestätigung – in ein anderes Bundesland verlegt werden sollte und noch ein paar unerfreuliche Überraschungen.
In der Zwischenzeit hatte ich ein Bett und Waschmaschine sowie Gitterbett, Wickeltisch und Kinderwagen organisiert, die Küche und eine Abwasch aufgestellt, Türen notdürftig installiert und ein paar Kleinigkeiten besorgt (auch und vor allem dank der unglaublichen Hilfsbereitschaft in unserem Freundes- und Bekanntenkreis!).
Eine Woche später zogen die drei bei uns ein. Eine wildfremde Frau umarmte und küsste meine Frau voller Dankbarkeit – in Aussicht auf ein eigenes Bett, in einer eigenen Wohnung und in der Hoffnung auf eine ruhige Nacht. Wir begrüßten unsere Familie mit selbst gebackenem Apfelstrudel, Kaffee und Tee und versuchten die ersten Worte zu wechseln.

Wie lebt es sich mit einer Flüchtlingsfamilie?
Diese Frage ist ebenso schwer wie leicht zu beantworten. Im Grunde würde ich sagen wohl genauso wie mit jeder anderen Familie/Person mit der man mehr oder weniger viele Berührungspunkte hat.
Jeder hat sein eigenes Leben, jeder hat seinen eigenen Rhythmus. Entsprechend gab es Tage, an denen wir uns viel gesehen haben, aber auch Wochen in denen wir fast nicht merkten, dass jemand bei uns eingezogen ist. Unsere Flüchtlingsfamilie war ebenso interessiert wie engagiert. Die ersten Wochen und Monate waren dominiert von dem Bestreben, das Leben zu organisieren. Behördenwege standen ebenso am Programm wie Arzttermine. Im Mittelpunkt stand das Ankommen im Sherwood Forrest – beginnend mit der Organisation eines Deutschkurses bis zu einem Bekanntmachen mit dem Muslimischen Zentrum – in dem sich vor allem der Vater als Arabisch- und Religionslehrer sehr wohl fühlte. Was ich in diesen Tagen und Wochen vermisste, war eine Hilfe von außen. Erhofft hatte ich mir diese vor allem von diversen caritativen Organisationen. Da kam allerdings ebenso wenig wie auf individueller Ebene. Meine Hoffnung: „Ich habe eine Wohngelegenheit, um den Rest kümmert sich jemand, der auch helfen will, dem aber die räumlichen Ressourcen fehlen, der aber mehr Zeit hat als ich“, war wohl naiv. So hatte ich neben zwei eigenen Kindern teilweise auch drei neue zu betreuen und es dauerte, bis ich dafür entsprechende Hilfe gefunden hatte.
Es war schön zu sehen, wenn als Dank für mein Engagement von meiner Flüchtlingsfamilie viel zurück kam – sei es eine unterstützende Hand im Garten oder auch ein kleiner Kuchen. Interessant war es auch die andere Kultur kennenzulernen. Als kommunikativer (und textlastiger - wie man an der Länge des Artikels sieht) Mensch war der defacto Wegfall auf sprachlicher Ebene für mich oft schwierig. So lachten wir mitunter über sprachliche Missverständnisse oder schluckten einfach etwas hinunter: Wie sage ich jemandem, dass mir der Kuchen nicht schmeckt und ich in Zukunft keinen mit diesen Gewürzen mehr möchte, wenn ich die Sprache nicht spreche und nicht beleidigend wirken möchte?? Wie verstehe ich, dass jemand Hilfe braucht, wenn er mich nicht um Hilfe bitten möchte?

Zwei Anekdoten: Meine Flüchtlingsfamilie war unendlich höflich: Nie würden sie ein Geschenk (etwa ein Paar Schuhe) beim ersten Angebot annehmen – ich musste sie ihnen zweimal anbieten. Nie würden sie ein Geschenk (eine Jacke) ablehnen, wenn sie diese wirklich nicht wollen/brauchen. (wenn ich das wüsste, kann ich sie aber jemand anderem schenken). Dies sind zwei Beispiele, die es für mich nicht immer leicht gemacht haben.
Meine Flüchtlingsfamilie hat im Jänner ihren positiven Asylbescheid bekommen und im Frühjahr war dann mit der Mindestsicherung alles auf Schiene – so stand ihre Existenz auf einer guten Grundlage. Entsprechend wuchs (nicht zuletzt aufgrund entsprechender finanzieller Anreize in unserem Sozialsystem) ihr Wunsch, nach einer eigenen/größeren Wohnung und sie sind im Herbst 2016 nach einigen Wochen der Suche schließlich in eine andere Höhle im Sherwood Forrest gezogen.

Resümee
Was mir nicht gelungen ist: Meine Flüchtlingsfamilie hat ihre Wohnung nie als die ihre betrachtet, sondern sich stets nur als Gast gefühlt. Es gab dementsprechend bei ihnen kaum eine Form der Eigen-/Mitverantwortung: Wann wird die Mülltonne rausgestellt, wann gehört der Rasen gemäht, wann bleibt das Eingangstor für einen kurzen Weg in der Stadt offen oder wird es jedesmal penibel geschlossen (Ja – der Elektromotor fünf mal zwischen 23 Uhr und 5 Uhr während dem Ramadan ist durchwegs schlafstörend…)

Was mir am meisten leid tut: Dass der unterschiedliche Tages-/Wochenrhythmus de facto keine Spielräume für gemeinsame Aktivitäten bot um sich entspannt und abseits von administrativen to dos besser kennen zu lernen.
So bin ich leider auch an einer (vor)gelebten Integration gescheitert (einem meiner Hauptziele für mein Engagement). Wie schön wäre es gewesen, gemeinsam zum Kinderturnen zu gehen, doch der zeitgleich stattfindende Deutschkurs hatte Priorität.

Würde ich wieder Flüchtlinge aufnehmen? Es wäre gelogen, wenn ich sage, dass alles problemlos und einfach war, ich habe mir aber auch in keiner Minute gewunschen, dass sie nicht da wären. Ich habe in dieses Engagement persönlich sehr viel investiert – auf den verschiedensten Ebenen und ungeheuer viel zurück bekommen. Für mich war dieses Jahr überaus bereichernd – sowohl emotional als auch persönlich. Ich blicke auf Erfahrungen zurück, die meinen Horizont erweitert haben. Ich wurde verständnisvoller für andere Kulturen, aber auch überzeugter hinsichtlich eigener Prinzipien. Meine Kinder haben von Klein auf wichtige Werte vermittelt bekommen und das schönste: ich habe einer anderen Familie zu einem besseren Start in ein neues Leben geholfen, als ich es bei meinen eigenen Kindern hoffentlich je tun muss.
Ich weiß, dass ich aufgrund meiner persönlichen Lebens-/Wohnsituation eine Möglichkeit hatte/habe, die vielen, die sich gern ähnlich engagieren möchten, fehlt. Zwei getrennte Eingänge sind toll, dennoch ist die jeweilige Privatsspähre entsprechend verändert/eingeschränkt. Wäre morgen die Situation vergleichbar mit jener vor eineinhalb Jahren – ich würde mich ohne zu Zögern wieder genauso entscheiden!

„Wenn ich die Wahl habe, ob ich einen Fitnessraum habe oder jemand anderer ein Dach über dem Kopf, dann muss man halt die Prioritäten entsprechend setzen.“

robe
Dominik (Gast) - 28. Feb, 08:05

Chapeau!

Chapeau, Robe!
Als wir uns damals in Krems getroffen haben, gab es zwischen Essen und Bier sovieles rund um Kind und Kegel zu besprechen, dass wir gar keine Zeit mehr hatten, um im Detail über "deine" Flüchtlingsfamilie zu sprechen. Dennoch hat es mich immer interessiert, wie sich diese Geschichte entwickelt hat. Danke für den tollen und ehrlichen Bericht, in dem du die Schwierigkeiten nicht verschweigst oder leugnest oder gar ein verklärendes Bild malst. Dennoch scheint das Ganze eine positive Erfahrung gewesen zu sein. Und für deinen Einsatz, deine Zivilcourage, deine Nächstenliebe gebührt dir alle Ehre! Bravo!

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