Erfahrungswelt

Mittwoch, 3. Oktober 2012

Materialsicherheit beim Sicherungsmaterial

Als Kletterer lesen sich aktuelle Unfallberichte und Rückholaktionen für mich oft wie die Hall of Nightmare eines Alpinisten. Von gebrochenen Karabinern, gerissenen Seilen, unsicheren Sicherungsgeräten und sonstigen Abscheulichkeiten war mitunter in der letzten Zeit zu hören. Zumeist steckt hinter den damit zusammenhängenden Unfällen (mitverantwortlich) ein Bedienungsfehler oder zumindest eine Verkettung von besonders unglücklichen Umständen (man könnte es auch Pech nennen). Im Grunde aber Dinge, die einen nicht besonders erschüttern müssen, da man selbst ja idealerweise zum einen gut ausgebildet und vor allem vorsichtig ist. Im Grunde aber kein Grund zur Panik, da trotz eines verbleibenden Restrisikos bei manchen unserer Sportarten, ein Großteil der alpinistischen Aktivitäten statistisch noch immer sicherer ist, als autofahren.

Klettersteigset gerissen
Eine Schlagzeile tanzte im August 2012 aus der Reihe „tödlicher Klettersteigunfall – beide Schlauchbänder des Klettersteigsets gerissen“ Wenige Tage später folgte auch schon die Rückrufaktion von einigen renommierten Herstellern. Die knappe Erklärung: “Sets dieser Bauweise altern besonders rasch! Das bedeutet, dass die Reißkraft der Bänder bereits nach relativ kurzem Gebrauch (Anmerkung: 1 Jahr!) deutlich unter den geforderten Normwerten liegt.“

Wie jetzt, wer jetzt, was jetzt? Was soll das?
Ansonsten eher wohl überlegt in der Argumentation, ist jetzt der Punkt bei mir erreicht, an dem ich emotional werde und beginne die Welt überhaupt nicht mehr zu verstehen. Wofür bitte gibt es Normen, wofür Produkttests und Prüfungen und worauf kann ich mich überhaupt noch verlassen. Nachdem in den letzten Jahren fast alle namhaften Firmen von Fehlerteufeln und Rückrufaktionen betroffen waren, scheint es auch keine wirklich „guten“ oder „schlechten“ Anbieter zu geben.

Worin liegt aber die Ursache?
• Liegt es an der Masse der Bergsportler, wo einfach Fehler und Schäden mit der Quantität statistisch zunehmen? Wohl kaum, denn sonst hätte sich der Fehler beim Klettersteigset nicht bei mehreren gleichartigen Sets wiederholt gezeigt.
• Liegt es daran, dass einfach alle Firmen alles anbieten wollen (müssen) statt sich auf Kernkompetenzen zu konzentrieren und somit jeder halt weniger gute Produkte in seinem Sortiment hat? Wenn ja, wer sind dann aber die richtigen Firmen für welche Produkte? Und vor allem, wie erreicht man wieder ein Umdenken am Markt, bevor die Bereinigung desselben weitere (Todes)opfer fordert?
• Liegt es am Nachfragedruck des Konsumenten, der immer neuere/bessere/leichtere/billigere Produkte „verlangt“ und er sich schließlich wundert, wenn er mit einem 4mm Einfachseil bei einer nicht einmal Scharfkantenbelastung schon einen Abgang macht? Da wird seit Jahren über ein Klettersteigset für unter 50kg Personen philosophiert und dabei ist es nicht einmal möglich ein zuverlässiges Produkt für Normalgewichtige zu bauen?
• Produktinnovationsantithese: Sind ältere Produkte doch besser/sicherer? Ich kenne keinen Bericht, von einem Klettersteigabsturz mit einem alten Seilbremsen-System (kein Y) aufgrund eines Seilrisses nach einem Jahr. Wofür aber kontrollieren wir in der Sektion dann regelmäßig unser Leihmaterial und scheiden alte Produkte (speziell jene ohne entsprechende Prüfnummern) aus, wenn solche Fehler mit quasi nagelneuem Material passieren?
• Sind moderne Produkte einfach nicht mehr langlebig? Bei meinem Multifunktions-Kletter/Ski/Fahrradhelm wird empfohlen, ihn nach 3 Jahren auszutauschen! Na klar, wer trennt sich schon von liebgewonnen, passenden, gut funktionierenden Dingen? Ich – zwangsläufig! Nach 3 Jahren und 3 Monaten ist der Helm beim Zustieg zum Klettersteig ohne äußere Einwirkung beim Aufsetzen einfach auseinandergefallen! Die Erklärung? Der verwendete Kleber hält mitunter extremer Temperatur(schwankung) nicht stand.

Jetzt folgt die Ironie: Ok, vielleicht haben alle diese Dinger einfach eine kürzere Lebensdauer. Helme nach 3 Jahren tauschen, Klettersteigsets nach einem Jahr, Seile eventuelle nach erstmaliger Verwendung. Willkommen in unserer Wegwerfgesellschaft. Nachhaltigkeit? Brauchen wir nicht!

Jetzt wieder etwas ernster weiter
Was bleibt übrig? In meinen Augen leider sehr wenig. Für mich bleibt die Erkenntnis, dass ich offensichtlich wirklich Risikosportarten ausübe. Das Risiko liegt dabei aber nicht nur im Bereich meiner Eigenverantwortung (anseilen oder nicht) oder im Bereich von Naturgefahren (Felssturz, Steinschlag, Gewitter etc.) sondern leider auch zu einem nicht unbeträchtlichen Teil im Materialsektor. Wie wir aber mit dieser Erkenntnis umgehen, bleibt wohl jedem selbst überlassen: Verdrängung, Ignoranz, Optimismus bieten sich an, befriedigen mich aber nur bedingt.

Es geht um mein Leben!
Ich erwarte mir von den Herstellern, dass sie mir nur Produkte verkaufen, die auch wirklich zuverlässig sind, dass sie diese Produkte laufend testen und beim ersten Gefahrenhinweis warnen und nachbessern. Ich bin auch gerne bereit für entsprechende Qualität einen entsprechenden Preis zu zahlen, denn schließlich geht es um nichts Geringeres als um mein Leben und davon habe ich nur eines, dafür gibt es keine Versicherung (entgegen anderslautender Wortschöpfungen) und keine Garantie. Ein Anbieter, der es nicht schafft, diesen hoffentlich nicht zu hohen Ansprüchen gerecht zu werden, möge sich bitte eine andere Branche suchen oder sich auf einfachere Produkte beschränken (wenn meine Regenjacke kaputt wird, ist das zwar ärgerlich, aber zumeist nicht lebensbedrohend).

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