Dienstag, 25. Dezember 2012

Volksbefragungsfarce

In drei Wochen findet in Österreich die Abstimmung über die Beibehaltung oder Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht statt – soweit so gut. Damit wird eine der weitreichendsten Entscheidungen seit dem EU-Beitritt getroffen oder zumindest eine tagespolitische Frage zur Beantwortung dem Volk übertragen. Die Intensität der Wichtigkeit wird von vielen unterschiedlich bewertet und liegt wohl irgendwo dazwischen.

General Sinnlos hat uns in den letzten Wochen und Monaten Einblicke in seine subjektiven Erfahrungen mit dem Bundesheer vermittelt. Nun möchte ich mich ein wenig ernsthafter der Thematik widmen.

Bevor ich mich in einem meiner nächsten Beiträge inhaltlich mit der Frage auseinandersetze, zunächst einige Gedanken zu den Rahmenbedingungen. Viele davon sind weniger quergedacht, sondern mitunter bereits mainstreamig mehrfach öffentlich hinauf und hinunterzitiert.

Worum geht’s eigentlich?
Das erschreckendste bei der Abstimmung ist, dass die Frage über die Abschaffung oder Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht fast ausschließlich polemisch über den Zivildienst geführt wird. Es gibt keine Verpflichtung zum Zivildienst, dieser hat sich lediglich historisch als Alternative (zunächst aus moralischen Gründen) herausentwickelt. Dass nun, bei dessen Wegfall der gesamte Sozialstaat zusammenbrechen soll ist ja für sich schon mal in Frage zu stellen, aber dass der Zivildienst als Argument für die Beibehaltung des Bundesheeres herhalten muss, ruft bei mir massives Kopfschütteln hervor.

Interessant erscheint mir auch, dass stets nur über Wehrpflicht (Zivildienst) ja/nein diskutiert wird, doch sich niemand ernsthaft darüber Gedanken zu machen scheint, welche Aufgaben, unter welchen Bedingungen wir dort jeweils erfüllt haben wollen.
• Beim Bundesheer: Was sollen in Zukunft die Aufgaben des österreichischen Militärs sein? Welche Bedrohungsszenarien/potenziellen Einsatzaufgaben gibt es und was braucht man um diese zu bewerkstelligen?
• Beim Zivildienst: Wie sollte der Sozialstaat Österreich strukturiert und aufgestellt sein? Was soll professionell, was ehrenamtlich erledigt werden?
• Allgemein: Wie soll der Zivilschutz (organisatorisch/personell) ausgestaltet sein?

Stärkung der direkten Demokratie
Verkauft wird dem Wahl- und Staatsvolk die Abstimmung (ja, ich weiß, es ist nur eine Volksbefragung, doch die Regierungsparteien haben dem Ergebnis bindenden Charakter zugesichert) als Bürgerbeteiligung in wichtigen Fragen. Tatsächlich jedoch ist die Politik zu feige oder unwillens, selbst eine Entscheidung zu treffen, bzw. haben es die Koalitionsparteien in der Vergangenheit nicht geschafft, bei diesem Thema eine Einigung zu erzielen. Dies darf jedoch nicht davon ablenken dass es einen gewählten Nationalrat gibt, der als Vertretung des Volkes über solche Sachen zu entscheiden hätte.

Warum wird gerade beim Militär die Bevölkerung befragt? Gibt es nicht auch andere entscheidende Themen, bei denen eine Bürgerbeteiligung anzudenken wäre? Wie steht es um den dem Bildungsbereich? Hat die Einführung der flächendeckenden Mittelschule oder der Studiengebühren nicht ebenso große gesellschaftliche Folgen? Was ist mit der Gesundheitspolitik? Sollten wir nicht auch mitreden dürfen, wenn es darum geht wann ich wo welche Leistung für welche Kosten erhalten kann? Und wenn wir so weiterüberlegen – wo ziehen wir die Grenze?
Walkampfstimmung

Viel erschütternder ist jedoch die Tatsache, dass sich die Abstimmung zu einer reinen parteipolitischen Wahlkampf-Farce verkommt. Das Thema sollte eigentlich viel zu wichtig sein, um es als Lagerdebatte zu führen. Dass die linke Reichshälfte aus historischen Gründen eigentlich gegen ein Berufsheer sein müsste (und immer war), nun aber in diesem das Allheil sieht, ist nur ein amüsantes Detail am Rande.
Und so werden auch munter diverse Vereinigungen instrumentalisiert, um ihre Mitglieder pro oder contra Wehrpflicht moralisch zu verpflichten. Inhaltlich nachvollziehbar ist dies jedoch keineswegs mehr, denn was hat diese Abstimmung mit den Interessen eines Sportvereins, einer Autofahrervereinigung oder einer Gewerkschaftsgruppierung zu tun? Trotzdem müssen diese derzeit mitunter sogar gegen ihre eigenen Werte parteipolitisch agieren. Absurd erscheint dies vor allem am Beispiel der Gewerkschaft: Potenzielle Berufssoldaten und Arbeiter im dann angedachten Sozialdienst wären als künftige Mitglieder interessant. Ein Grundwehrdiener oder Zivildiener ist nur in den seltensten Fällen Gewerkschaftsmitglied. Dennoch bezieht eine Gewerkschaftsfraktion massiv Position für die Beibehaltung des aktuellen Systems. Dies ist wieder ein wunderbares Beispiel für parteipolitischen, blinden Gehorsam in unserem Land...
Direkte Demokratie ja, aber richtig

robe

Nächstenliebe

Am Nachmittag des Heiligen Abend war ich in einer Nachbarortschaft am Grab eines Freundes. Ich wollte für den Rückweg nicht eine Stunde auf den nächsten Zug warten und so beschloss ich zum Ersten Mal per Anhalter zu fahren. Dies sollte – so dachte ich – an einem Tag wie diesem nicht besonders schwer sein. Ich hatte allerdings die Rechnung ohne meine Mitmenschen gemacht.
Gezählte 24 Autos sind an mir und meinem ausgestreckten Daumen vorbeigefahren. So habe ich mich bereits auf einen entspannten Fußmarsch eingestellt. 45 Minuten und gut 4 km später (ich war also quasi schon wieder fast zuhause) hat das 25. Auto im Nebel angehalten.

Unerwartete Hilfe
Wer war bereit mich mitzunehmen? Es waren nicht die Audis, BMWs oder Mercedes oder ein Mittelklassewagen eines Mitbürgers am Weg zur Weihnachtsfeier. Es war niemand, der wahrscheinlich nur all zu gut die Weihnachtsgeschichte rund um Mr. Scrooge kennt. Es war ein in die Jahre gekommener Kleinwagen – am Steuer saß jemand mit nicht gut sprechen deutsch, auf der Rückbank zwei Kleinkinder vorbildlichst im Kindersitz angegurtet. Während all die anderen vielleicht um ihr Auto oder ihr Bargeld fürchteten, weil sich ein Landstreicher etwa gerade den ersten Weihnachtstag für einen Überfall ausgesucht hatte, war das Risiko meines Chauffeurs viel größer – er hätte im Ernstfall seine beiden Kinder gefährdet.
In meiner Heimat angekommen bedankte ich mich freundlich für die geleistete Hilfe und reichte ihm einen kleinen Geldschein. Er wehrte heftig gestikulierend ab und verwies auf seine freizügige Hilfsbereitschaft „weil ist ja Weihnachten“. Ich bestand darauf und bat ihn, den Kindern etwas Nettes zu kaufen.
Ich glaube, mein Chauffeur hat sich heute dreifach gefreut: einmal, weil er einem Fremden Gutes getan hat; einmal, weil er aus dieser Situation keinen eventuell drohenden Nachteil erlitten hat; und einmal, weil sich ein Fremder für eine Selbstverständlichkeit am Heiligen Abend überaus erkenntlich gezeigt hat.
All jene, die an mir vorbeigefahren sind, hatten vielleicht bei der Weiterfahrt und zuhause vor dem Christbaum oder später in der Weihnachtsmette ein schlechtes Gewissen wegen ihres Egoismus. Vielleicht haben sie dieses Gewissen bei der Kirchenkollekte versucht wieder reinzukaufen, doch eine anonyme Spende hat nie das Gewicht einer realen Tat.

In diesem Sinne: Friede und Freude allen Menschen auf Gottes Erden.

robe

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